Gute Vorsorge braucht Finanzkompetenz

Vorsorgereform
Wie steht es um das Finanzwissen der Schweizerinnen und Schweizer? Kennen sie die Zusammenhänge zwischen Rendite und Risiko? Welche Instrumente der Vorsorge nutzen sie? Und sind sie bereit, Eigenverantwortung zu übernehmen? Solchen Fragen geht das von PensExpert unterstützte Forschungsprojekt «Financial Literacy mit Fokus Altersvorsorge» der Hochschule Luzern nach. Wir sprachen mit der Projektleiterin Yvonne Seiler Zimmermann vom Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ über die Hintergründe.
19. August 2021
Geschrieben von
Fabio Brunner
Marketingverantwortlicher

Frau Seiler Zimmermann: Sie haben im Frühjahr 2021 bei Arbeitnehmenden der Schweiz eine Umfrage durchgeführt. Sie befragten die Menschen nach ihrer finanziellen Situation, ihrem Investitionsverhalten, ihrem Kenntnisstand und ihrer Einstellung zur Vorsorge. Was ist der Zweck dieser Umfrage? 

Aufgrund früherer Studien, z.B. in den USA, vermuten wir: Je höher der Wissensstand über finanzielle Zusammenhänge, desto besser das individuelle Vorsorgeverhalten. Mit dieser repräsentativen Umfrage wollen wir den aktuellen Wissensstand der Schweizer Arbeitnehmenden punkto Finanz- und Vorsorgekenntnissen ermitteln – das, was in der Fachsprache «Financial Literacy», also «Finanzwissen», heisst. 

Was ist das Ziel des Forschungsprojekts «Financial Literacy mit Fokus Altersvorsorge»? 

Wir verfolgen drei Ziele: Erstens wollen wir einen Wissensbarometer bauen. Zweitens möchten wir über die Modellierung von Kundensegmenten Vorsorgeprofile erstellen, die es den Vorsorgeprofis ermöglichen, ihren Kundinnen und Kunden auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Vorsorgelösungen anzubieten. Und drittens wollen wir allen Vorsorgepartnern Grundlagen geben, ihre Kommunikation mit den Versicherten zu verbessern. 

Sie erstellen also die wissenschaftliche Grundlage für die kompetente Vorsorgeberatung?

Genau. Alle BVG-Versicherer kämpfen ja mit den bekannten Problemen. Der Mindestzinssatz und der Umwandlungssatz sind zu hoch. Die Kassen haben – auch wenn sie die Gelder aus dem Überobligatorium für die Umverteilung beanspruchen können – wenig Spielraum. Wir wollen mit unserem Forschungsprojekt Hilfestellung für innovative Lösungen bieten. 

Springen wir in die Zukunft: Wie sähe die Vorsorgewelt aus, wenn die Menschen über finanzielle Zusammenhänge gerade in der Vorsorge besser informiert wären? 

(Lacht) Gute Frage! Ich glaube, wir hätten in der Vorsorge weniger marktfremde Vorgaben. Die heute im BVG vorgelegten Parameter sind rein politisch. Das hat meines Erachtens damit zu tun, dass die Menschen vor allem den Sicherheitsgedanken im Kopf haben. Wenn die Grundhaltung ist: Alle sollen im Alter über ein gewisses Grundeinkommen verfügen, dann muss man das anders finanzieren als über den Kapitalmarkt. Es bräuchte ein Gefäss, bei welchem die Leute genau wissen, wie hoch der finanzielle Aufwand ist und wie es finanziert wird. 

Wir hätten in Zukunft also ein transparenteres Vorsorgesystem? 

Jemand hat die heutige Konstruktion der 2. Säule einmal treffend mit einem Tinguely-Brunnen verglichen: Überall wird ein bisschen umverteilt und anders umgelenkt – und niemand weiss am Ende, wer was finanziert und wer wieviel profitiert hat. Mit der Intransparenz in der 2. Säule werden die Menschen zusätzlich verwirrt. Momentan haben wir massive Umverteilungen von Jung zu Alt, von Besserverdienenden zu weniger gut Verdienenden. Wenn man schon umverteilen will, dann in einem anderen, transparenten Gefäss. Dann hätten wir Klarheit, wer wem wieviel gibt. Die heutige Intransparenz ist ein grosses Problem. 

Um auf Ihre Frage zurückzukommen. Wenn die Bevölkerung ein höheres Verständnis über die finanziellen Zusammenhänge hätte, dann bin ich überzeugt: Wir könnten mindestens erreichen, dass die BVG-Parameter, sprich Mindestzinssatz und Umwandlungssatz, so festgelegt würden, dass sie eher finanzierbar wären. Das kapitalmarktfremde Denken wäre deutlich zurückgebunden.

Ihre Ausführungen machen klar: Vorsorgekompetenz ist von «Financial Literacy», also von Finanzkompetenz und Finanzwissen nicht zu trennen. 

Als die 2. Säule eingeführt wurde, musste sich niemand Gedanken über Risiken machen. Denn die Pensionsversprechen konnten risikolos finanziert werden. Jetzt müssen die Menschen Risiken nehmen – dürfen aber nicht entscheiden! Ich muss so investiert sein, wie meine Kasse das will. Dabei könnten die Kassen von Mitbestimmung auch profitieren. 

Woher soll meine Motivation für «Financial Literacy» kommen? Warum um Himmelswillen soll ich mich als Arbeitnehmerin oder -nehmer mit etwas befassen, bei dem ich keine Mitsprachemöglichkeit habe? 

Weil es sich für Sie auszahlt. Ihre Rente ist zwar auf dem Papier sicher. Die Einlösung des Rentenversprechens, das jungen Arbeitnehmenden gegeben wird, ist alles andere als garantiert. Wegen dieser Unsicherheit sollten sich alle grundlegendes Finanz- und Vorsorgewissen aneignen, um Eigenverantwortung zu übernehmen und sich fürs Alter abzusichern. 


«Vorsorgenehmer müssen den Mechanismus des Vermögensaufbaus und der Geldvermehrung verstehen.» 

Yvonne Seiler Zimmermann 


Sie vermuten: In Sachen Finanzwissen sind die meisten Vorsorgenehmenden Analphabeten. Welches sind denn die Grundpfeiler der Finanzkompetenz? 

Sie müssen ein grundlegendes Verständnis dafür haben, wie der Finanzmarkt funktioniert. Dazu gehört: Sie müssen etwas über Rendite und Risiken wissen, eine Ahnung haben, was Diversifikation bedeutet und welche Vorteile sie bietet. Weiter: Sie müssen den Mechanismus des Vermögensaufbaus und der Geldvermehrung verstehen. Solche Zusammenhänge lassen sich auch anschaulich vermitteln. Denken Sie nur an ein Beispiel wie den Schirmverkäufer. Entscheidet er sich dazu, Sonnen- und Regenschirme anzubieten, dann hat er seine Einnahmequellen diversifiziert. Ob Sonnentag oder Regentag: Er ist gut gegen Wetterrisiken gewappnet. Und davon profitiert sein Geschäft. Auf der Basis dieses Grundwissens werden Sie sich Ihrer Handlungsoptionen bewusst. 

«Ich kann nicht mehr mit einer sicheren Rente rechnen.» Ist das Ihre Grundbotschaft, um eine Verhaltensänderung zu bewirken? 

Uns geht es primär um Sensibilisierung. Heute sind die Rentenansprüche nicht mehr risikolos finanzierbar und daher unsicher. Das muss ich begreifen. Und dazu braucht es «Financial Literacy». 

Sie werden im Spätsommer 2021 die ersten Ergebnisse der Umfrage kommunizieren. Worauf sind Sie persönlich besonders gespannt? 

Was mich besonders interessiert: Wie hoch ist der Anteil derjenigen, die glauben, Bescheid zu wissen, aber die Fragen falsch beantworten? Denn das ist ein misslicher Zustand. Wenn ich meine Situation falsch einschätze, dann unternehme ich nichts oder das Falsche. Und das ist bei der Vorsorge fatal. Dann fehlt im konkreten Fall die Absicherung. 

Was sind die nächsten Schritte Ihres Forschungsprojekts? 

Wir haben vor, die Studie jährlich herauszugeben, damit wir das Wissensbarometer periodisch aktualisieren können. Innerhalb der Hochschule Luzern wollen wir dem Thema Vorsorge eine Plattform bieten und ein Netzwerk schaffen. Das IFZ soll zu einem Kompetenzzentrum Vorsorge werden. Der Wissenstransfer in die Praxis und der Austausch mit Unternehmenden gehören zu unserem Auftrag und sind uns wichtig. Wir planen Schulungsmodule, wie z.B. Crashkurse. Arbeitgebende können durch die Finanzierung solcher Kurse ihren Arbeitnehmenden ermöglichen, ihre Finanzkenntnisse auszubauen.

Zum Schluss die Frage: Wie profitiert Ihr Wirtschaftspartner PensExpert AG konkret von Ihrer Forschung? 

Schon unser erstes Produkt, das Wissensbarometer, wird für PensExpert interessant sein. Wir liefern einen «Benchmark», also einen Vergleichsmassstab. PensExpert kann damit überprüfen, ob der Wissensstand ihrer Kundinnen und Kunden bereits besser ist als der Durchschnitt! 

Frau Seiler Zimmermann, vielen Dank für dieses Gespräch. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse Ihrer Forschung. 


Dieses Gespräch wurde geführt von Michael Egloff, Musqueteers. Texter und langjähriger Begleiter der PensExpert AG  

Geschrieben von
Fabio Brunner
Marketingverantwortlicher