Leo Bolfing, Mario Lazzarini: Gehen wir zurück ins Jahr 2000. Sie haben damals die Gründer Alois Graf, Jörg Odermatt, Karl Reichmuth und Jean Wey eng begleitet. Was war der Beweggrund, sich überhaupt mit der Optimierung der beruflichen Vorsorge zu befassen?
LB Im Herbst 1998 stand ich in Abklärungen und Verhandlungen mit dem Bundesamt für Sozialversicherung BSV. Wir wollten für Ärzte, Zahnärzte, Architekten und Ingenieure eine Alternative zu ihren wenig flexiblen Verbandseinrichtungen schaffen. Ziel war es, eine nach persönlichen Bedürfnissen ausgerichtete Alters- und Risikovorsorge zu ermöglichen. Das BSV und die Stiftungsaufsichtsbehörden vertraten damals den Standpunkt, Selbständigerwerbende könnten sich lediglich einer Vorsorgeeinrichtung ihres Berufsverbandes anschliessen. Das BSV verdächtigte uns, nur im Interesse der oberen Kader zu handeln. Dank der Idee, uns nicht nur auf den angestrebten überobligatorischen Bereich zu konzentrieren, sondern auch den unterobligatorischen Teil der Vorsorge für alle Arbeitnehmenden miteinzubeziehen, konnten wir beim BSV ein Umdenken bewirken. Das war eine wichtige Voraussetzung für das weitere Vorgehen.
Wie müssen wir uns den Vorsorgemarkt vor 20 Jahren vorstellen?
LB Im Rahmen der 2. Säule verwalteten die Sammelstiftungen der Versicherungsgesellschaften und Banken sowie die Vorsorgeeinrichtungen von Berufsverbänden damals ein Vorsorgevermögen von rund CHF 450 Mrd. Die durchschnittliche Verzinsung dieser Altersguthaben lag bei rund 5 %. Demgegenüber konnten autonome und halbautonome Pensionskassen ihren Versicherten in diesen Jahren eine Verzinsung von 6 bis 7 % weitergeben! Die Teuerung aber war wesentlich höher.
ML Die Versicherten konnten ihre Bedürfnisse nicht geltend machen. Das Korsett des Vorsorgesystems war sehr eng. Gutverdienende Selbständigerwerbende, aber auch Kader- und Direktionsmitglieder konnten kaum Einf luss auf die Anlagestrategie nehmen. Auch die Transparenz und Kosten bei der Performance liess zu wünschen übrig. Die Interessen der jüngeren Versicherten mit einem längeren Anlagehorizont wurden nicht berücksichtigt. Die systemwidrige Quersubventionierung von Jung zu Alt war gang und gäbe.
LB Der Ruf nach mehr Selbstbestimmung und mehr Freiheiten wurde immer lauter. Auf dem Markt für KMU gab es aber keine einzige Vorsorgelösung mit individueller Anlagestrategiewahl. Gemäss damaliger Auffassung in Rechtsliteratur, Stiftungsaufsichts- und Steuerpraxis von Bund und Kantonen war dies gar nicht zulässig. Das fanden wir stossend, das wollten wir ändern.
ML Vereinzelt boten grosse, internationale Schweizer Firmen ihren Kadermitarbeitenden bereits individualisierte Vorsorgelösungen nach dem Modell der US-amerikanischen 401k-Pläne an. Kerngedanke dieser Pläne war die individuelle Wahl der Anlagestrategie durch die einzelnen Versicherten. Wie Leo ausgeführt hat: Obwohl eine stetig steigende Nachfrage existierte, gab es für die vielen Schweizer KMU noch keine Angebote.
LB Begründet wurde die herrschende stiftungsrechtliche Aufsichtspraxis und Steuerpraxis mit dem Gebot, keine à la carte Lösungen im Personalvorsorgebereich zuzulassen. Mein Eindruck war, dass dies primär ein steuerrechtlich fundiertes Anliegen war.
Wie kam es dann zur Gründung der PensFlex Sammelstiftung?
LB Karl Reichmuth hatte 1996 in Luzern eine Vermögensverwaltungsfirma gegründet und sie 1998 in eine Bank umgewandelt. Auf einer Skitour im Winter 1999 fanden wir heraus, dass die Reichmuth&Co mit ihrem Ansatz der ganzheitlichen Vermögensberatung grossen Gefallen an der Idee einer eigenen Sammelstiftung fand. Karl Reichmuth brachte auch die Idee der Individualisierung in der Kapitalanlage zur Sprache – dies in der Absicht, das Altersguthaben nicht fremdbestimmt bewirtschaften zu lassen, sondern eigenverantwortlich. PensFlex war in der Folge bei ihrer Gründung schweizweit die erste Sammelstiftung, die dem einzelnen Versicherten für den überobligatorischen Bereich der beruflichen Vorsorge die persönliche Strategiewahl anbieten konnte.
Aber damit war der Kampf noch nicht zu Ende. Welche Hindernisse waren noch zu überwinden? Waren es eher steuerrechtliche oder vorsorgerechtliche Bedenken?
ML Zu Beginn stellten sich sowohl steuerrechtliche Stolpersteine als auch vorsorgerechtliche Bedenken in den Weg. PensFlex bot damals eine im Markt noch nicht bekannte Vorsorgelösung an. Aus Sicht der Behörden repräsentierten diese neue Lösungen ein individuelles Sparen im Rahmen der steuerlich privilegierten beruf lichen Vorsorge – ohne genügende Berücksichtigung der übrigen Risiken Tod und Invalidität.
Leo Bolfing
LB Und wie bereits erwähnt: Dies war rechtlich nicht zulässig. Mit dem Verbot von à la carte Lösungen wollte der Fiskus ursprünglich verhindern, dass individuelle Einzellösungen über die steuerlich privilegierte 2. Säule finanziert werden. Wir konnten jedoch die Innerschweizer Steuerverwaltungen der Kantone Luzern, Uri, Schwyz und Zug davon überzeugen, dass die für die steuerliche Abzugsberechtigung massgeblichen Grundsätze der Kollektivität, Planmässigkeit und Angemessenheit bei den PensFlex Vorsorgelösungen eingehalten wurden. Wir konnten zeigen, dass die Besteuerung der Renten und Kapitalleistungen an die Begünstigten nur aufgeschoben und unser System sowohl steuer- als auch vorsorgerechtlich korrekt war.
ML 2001 wurde die PensFlex Sammelstiftung dann durch die Arbeitsgruppe Vorsorge der Schweizerischen Steuerkonferenz (SSK) auf ihre steuerliche Konformität hin beurteilt. Dabei wurde vor allem die angebotene Vorsorgelösung – Lohnbestandteile im unter- und überobligatorischen Bereich für Selbständigerwerbende und deren Mitarbeitenden zu versichern – genau unter die Lupe genommen. Das BSV hatte im Rahmen dieser Prüfungen vorsorgerechtliche Vorbehalte angemeldet. Im Laufe des Herbstes 2001 wurden die Diskussionen um die steuer- und vorsorgerechtliche Konformität der Vorsorgepläne geführt. Die Vorbehalte konnten schlussendlich zur Zufriedenheit der Behörden beseitigt werden. Ende 2001 bestätigte auch das BSV: Die PensFlex Vorsorgepläne sind aus Sicht der beruf lichen Vorsorge gesetzeskonform.
LB Seit dem 1. Januar 2006 ist die individuelle Strategiewahl auch im Gesetz der beruf lichen Vorsorge verankert. So gesehen haben wir mit unserer Innovation eine erfreuliche Vorreiterrolle gespielt.
Das grosse Bedürfnis nach Fairness und Freiheit, Selbstbestimmung und Transparenz war also der Auslöser für die Idee einer eigenen 1e-Stiftung?
ML Genau. Vorsorgeeinrichtungen, welche ausschliesslich Lohnanteile über dem anderthalbfachen oberen Grenzbetrag von CHF 127'980 gemäss Art. 8 Abs. 1 BVG versichern, dürfen innerhalb des Vorsorgeplanes unterschiedliche Anlagestrategien anbieten. Die Idee einer eigenen 1e-Stiftung – so genannt nach Art. 1e BVV2 – ist: Jeder einzelne Versicherte soll die Möglichkeit haben, im Rahmen der weitergehenden beruflichen Vorsorge seine persönliche Anlagestrategie selbst zu wählen. Der Versicherte, und nur er, soll der direkte Nutzniesser von höheren Performances sein.