Nachfolgestudie «Financial Literacy» 2023

Vorsorgereform
Viele Versicherte sind bereit, bei der beruflichen Vor­sorge mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Aber viele schätzen ihr eigenes Vorsorgewissen falsch ein. Das zeigt die neue Studie «VorsorgeDialog» der Hochschule Luzern. Nachgefragt bei der Studienleiterin Prof. Dr. Yvonne Seiler Zimmermann.
20. Dezember 2023
Geschrieben von
Corinne Galliker
Kommunikationsverantwortliche

Die Studie «VorsorgeDialog» ist 2023 zum dritten Mal erschienen. Interessiert die Altersvorsorge die Bevölkerung?
Yvonne Seiler Zimmermann: Ja. Das Interesse an der Altersvorsorge ist konstant hoch. Das Interesse der Frauen ist gegenüber dem vergangenen Jahr markant gestiegen. Allgemein lässt sich beobachten, dass das Finanzwissen besser ist als das Vorsorgewissen. Beim Finanzwissen werden jedoch auch relativ einfache Fragen gestellt.

Wie gut ist denn das Vorsorgewissen?
YSZ: Bescheiden. Das erstaunt insofern, weil wir im September 2022 über die Reform der Altersvorsorge an der Urne abgestimmt haben. Über das Thema wurde medial viel geschrieben und diskutiert. Das hat aber das Vorsorgewissen nicht signifikant verbessert.

Wie gross ist die Bereitschaft, das eigene Wissen zu verbessern?
YSZ: Leider nicht gross. Ein Drittel der Befragten versteht beispielsweise den Vorsorgeausweis nur schlecht oder gar nicht. Ernüchternd ist, dass viele dieser Per­sonen nicht bereit sind, sich eigenständig zu informieren. Als Grund wird am häufigsten genannt, dass das Thema zu kompliziert sei. Für 37 Prozent der Befragten ist der Grund aber ein anderer: Bequemlichkeit. Beachtlich ist, dass dieser Anteil gegenüber dem Vorjahr signifikant zugenommen hat.

Sind sich die Versicherten ihrer Wissenslücken bewusst?
YSZ: Nein, das vermeintliche Vorsorgewissen ist gegenüber den Vorjahren unverändert hoch. Das bedeutet: Viele Leute meinen fälschlicherweise, sie wüssten Bescheid. Diese Personen sehen dann keinen Informations- oder Beratungsbedarf. Das führt unweigerlich dazu, dass versicherte Personen Fehlentscheide für ihre eigene Vorsorge treffen.

Geniesst die Altersvorsorge Vertrauen bei den versicherten Personen?
YSZ: Hier muss man unterscheiden. Einerseits haben die Befragten ein geringes Vertrauen, dass sie im Alter ihren gewohnten Lebensstandard mit der ersten und zweiten Säule finanzieren können. Dazu passt, dass 84 Prozent der Befragten auch privat vorsorgen. Andererseits ist das Vertrauen in die eigene Pensionskasse hoch.

Wie sieht es mit mehr Individualität in der beruflichen Vorsorge aus? Wären die Versicherten bereit dazu?
YSZ: Wir haben in der diesjährigen Studie die Teilnehmenden gezielt nach ihrer Einstellung zu Wahlmöglichkeiten, mehr Individualität und Eigenverantwortung für die Konsequenzen ihrer Ent­schei­dungen gefragt. Wahlmöglichkeiten sind besonders beliebt im Bereich der Anlagestrategie. Über die Hälfte der Befragten befürworten dies. Viele wünschen jedoch eine gute Beratung oder eine vorgegebene Strategieauswahl.

Unterscheiden sich hier Männer und Frauen?
YSZ: Interessant ist, dass der Idee, die Anlagestrategie selbst bestimmen zu können, Männer skeptischer gegenüberstehen als Frauen: 28 Prozent der Männer möchten die Anlagestrategie nicht selbst bestimmen, bei den Frauen sind es 23 Prozent.

Sie haben auch abgefragt, ob die kinderbetreuende Person besser abgesichert werden soll.
YSZ: Genau. Fast 6 von 10 Befragten wollen ihren kinderbetreuenden Partner bzw. Partnerin besserstellen. Interessant ist, dass diese Besserstellung nicht durch die Allgemeinheit, sondern durch die erwerbstätige Person innerhalb der Familie finanziert werden soll. Das zeigt, dass die betroffenen Personen nicht nur mehr Wahlmöglichkeiten wollen, sondern auch bereit wären, Eigenverantwortung für ihren Entscheid zu übernehmen.

Yvonne Seiler Zimmermann, herzlichen Dank für das Gespräch. Dieses Interview wurde geführt von Adrian Bühler (media-work gmbh)

Hier geht's zur vollständigen Studie



Yvonne Seiler Zimmermann

Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ
Hochschule Luzern – Wirtschaft

Prof. Dr. Yvonne Seiler Zimmermann ist seit 2008 Dozentin und Projektleiterin am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern. Sie ist dort u. a. Programmleiterin des MAS/DAS Pensionskassen Management. Zu ihren Lehr- und Forschungsschwerpunkten gehören die Finanzmarkttheorie und die kapitalgedeckte Vorsorge.

Geschrieben von
Corinne Galliker
Kommunikationsverantwortliche